Viele Aufgaben im Bereich Big Data, künstliche Intelligenz (KI) und Maschinelles Lernen (ML) sind heute, trotz fortschrittlicher Rechenleistung von Computersystemen, nur mit immensem Zeit- und Rechenaufwand lösbar – manche sind sogar so komplex, dass ihre Berechnung mit heutigen Rechnerkapazitäten Jahre dauern würde. Bei der Entwicklung neuer Impfstoffe z.B. könnten KI-Verfahren helfen – die Biologie ist jedoch so komplex, dass die Simulation der molekularen Reaktionen im Körper bei einer realistischen Rechenzeit nach heutigem Stand nur sehr unvollständig abgebildet werden könnte. Es braucht einen ‚Quantensprung‘, um die künstliche Intelligenz und das Maschinelle Lernen auf ein neues Level zu heben. Hier setzt das Quantencomputing an.
„Im Quantencomputing steckt das Potenzial, die prinzipiellen Beschränkungen klassischer Computer zu überwinden“, sagt Prof. Dr. Christian Bauckhage, wissenschaftlicher Direktor des Fraunhofer-Forschungszentrums Maschinelles Lernen. „Das ist uns bei Fraunhofer schon lange bewusst und wir forschen seit Jahren an der Anpassung von Algorithmen des Maschinellen Lernens an die Anforderungen von Quantencomputern. Lange waren diese Forschungen jedoch theoretische Konzepte. Das ändert sich jetzt: Schon bald werden wir in der Lage sein, ML-Algorithmen auf realen Quantencomputern anzuwenden.“
Welche Quanteneffekte spielen beim Quantencomputing eine Rolle? Wie können sie Rechenverfahren beschleunigen und völlig neue Anwendungen ermöglichen – etwa im Bereich Logistik & Mobilität, in der Pharmaindustrie oder in der Finanzwirtschaft? Das erklären Expertinnen und Experten der Fraunhofer-Allianz Big Data und künstliche Intelligenz sowie des Fraunhofer-Forschungszentrums Maschinelles Lernen in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr ML2R in ihrer Studie.
Wie Quantencomputer Berechnungen beschleunigen
Quantencomputer nutzen zur Informationsverarbeitung Quanteneffekte wie Superposition oder Verschränkung und können dadurch prinzipiell schneller Ergebnisse liefern. Während ein digitaler Computer mit Bits rechnet, arbeitet ein Quantencomputer mit Qubits, die im Gegensatz zu den klassischen Bits nicht nur genau einen von zwei möglichen Zuständen annehmen können, sondern auch eine beliebige Überlagerung beider. Verfahren des Maschinellen Lernens lassen sich für Quantencomputer so anpassen, dass sie mehrere Lösungswege gleichzeitig beschreiten. Damit kann ein einzelner Quantencomputer schneller Lösungen finden als viele klassische Computer in einem Cluster, wie etwa einer Cloud. Anhand ausgewählter Beispiele zeigt die Studie, wie Quantenalgorithmen für das Durchsuchen großer Datenbanken, das Lösen komplexer Gleichungssysteme oder kombinatorischer Optimierungsprobleme genutzt werden können. Neben den logischen Konzepten von Quantencomputern stellt die Studie auch Techniken für die Implementierung der Hardware vor, wie photonische Quantencomputer, Ionenfallen oder die bisher am weitesten verbreitete Technologie der supraleitenden Schaltungen.
Wertschöpfungspotenziale durch Simulation und Optimierung
Der Einsatz von Quantencomputern für Berechnungen auf Basis des Maschinellen Lernens wird zukünftig in vielen Industriebereichen für eine effizientere Wertschöpfung sorgen. Konkrete Anwendungsgebiete stellt die Studie ausführlich vor. Besonders prädestiniert sind Quantencomputer aufgrund ihrer Konstruktionsprinzipien dazu, Einblicke in quantenmechanische Systeme, wie etwa Moleküle, zu gewähren. Lassen sich Moleküle und ihre Eigenschaften in vertretbarer Zeit simulieren, so eröffnen sich in Zukunft möglicherweise neue Produktionsverfahren für die chemische Industrie. Ebenso könnten Pharmaunternehmen die Medikamentenentwicklung beschleunigen oder die Ingenieurwissenschaften von einer gezielten Materialentwicklung profitieren. Großes Wertschöpfungspotenzial liegt auch in der Lösung von Optimierungsproblemen mithilfe von Quantencomputern. Diese stellen sich z.B. in der Logistik, wenn es darum geht, Ressourcen optimal einzusetzen. Aber auch in der Finanzwirtschaft und bei der Planung von Telekommunikationsnetzen spielen Optimierungsfragen eine entscheidende Rolle. Zudem gibt es schon heute Quantenalgorithmen, die große Auswirkungen auf die Kryptographie und sichere, verschlüsselte Kommunikation haben können.
Marktsituation und internationaler Wettbewerb
An der Entwicklung von Quantencomputern arbeiten alle Industrienationen. Öffentliche und private Investitionen, vor allem aus China, den USA und der Europäischen Union, haben bereits einen erheblichen Beitrag zur bisherigen Entwicklung von Quantentechnologien geleistet. Dabei liegt China mit rund zehn Milliarden US-Dollar an Investitionen im Vergleich zu den USA (rund 1,3 Mrd. USD) und Europa (rund 1 Mrd. USD) bislang noch weit vorn. Die Fraunhofer-Studie gibt einen Überblick über die weltweite Forschungs-, Förder-, Patent- und Publikationslandschaft und zeigt das starke Wachstum dieses Marktes auf, das sich seit 2016 rasant beschleunigt hat. So hat sich etwa die Zahl der weltweit erteilten Patente von 2015 bis 2019 mehr als verdreifacht. Gemessen an der Anzahl an Publikationen ist Europa, beziehungsweise die EMEA-Region, international führend in der akademischen Quantenphysik – mit heute rund 50 Prozent aller wissenschaftlichen Publikationen und fast 40 Prozent der Forschenden in diesem Bereich.