„Bei 6G wird der Mensch im Mittelpunkt stehen“

Von der Kommunikation mit Hologrammen bis zu ferngesteuerten Operationen – die nächste Mobilfunkgeneration 6G soll zahlreiche Hightech-Anwendungen möglich machen. An der Technischen Universität München (TUM) startet nun ein Großprojekt, das die wichtigsten Grundlagen für den neuen Standard legen will. Projektleiter Prof. Wolfgang Kellerer erklärt im Interview, wie 6G zum intelligentesten Mobilfunknetz wird, wann Deutschland eine führende Rolle einnehmen könnte und warum es in der Forschung weniger um Geschwindigkeitsrekorde, als vielmehr um eine Sicherheit von 99,999999999 Prozent geht.

Das klingt zunächst nach Sekundärtugenden.

Im Gegenteil sind es für die Hightech-Anwendungen, die 6G möglich machen soll, die entscheidenden Punkte. Denken Sie an die Telearbeit bei Operationen – wenn es um das Leben eines Menschen geht, dürfen wir uns nicht mit 99,9 Prozent Zuverlässigkeit zufriedengeben. Für das 6G-Netz streben wir eine Ausfallsicherheit von 99,999999999 Prozent an.

Ein anderes Beispiel ist die Zusammenarbeit von Mensch und Roboter. Wenn solche Assistenten im Alltag oder in der Pflege eingesetzt werden, kommen sie den Menschen sehr nah. Deshalb darf es bei ihrer Steuerung so gut wie keine Latenz geben, also keine Verzögerung bei der Verarbeitung der Funksignale. Schließlich könnte eine falsche Reaktion schon binnen Sekundenbruchteilen dazu führen, dass der Roboter jemanden verletzt oder etwas zerstört. Für 6G streben wir Latenzzeiten an, die deutlich unter einer Millisekunde liegen.

Diese Eigenschaften sollen auch für die Ende-zu Ende-Kommunikation garantiert werden und über die verschiedenen Netze hinweg. Es wird ja in der Regel nicht nur innerhalb des Netzes eines Anbieters kommuniziert. Was sich vielleicht trivial anhört, sind enorme Herausforderungen. Und schließlich wollen wir das Gesamtnetz intelligent machen.

Was bedeutet Intelligenz für ein Mobilfunknetz?

Mit künstlicher Intelligenz soll das Netz in der Lage sein, selbst Berechnungen durchzuführen und sich permanent zu optimieren. Es soll so flexibel und anpassungsfähig sein, dass es zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle die benötigte Leistung zur Verfügung stellt.

6G wird die erste Mobilfunkgeneration sein, bei der das Netz und eine Unmenge an Sensoren zusammenarbeiten, die in den im Netz betriebenen Geräten eingesetzt sind, also z.B. in Robotern und autonomen Fahrzeugen. Dabei kann das Netz erstmals auch selbst zum Sensor werden, weil wir anhand der Funksignale bestimmte Informationen gewinnen können, etwa, ob sich ein Objekt zwischen Sender und Empfänger befindet. Aus der Summe der Informationen kann sich die künstliche Intelligenz ein Bild der Umgebung des Nutzers und der benötigten Kommunikationsleistungen machen und daraufhin wiederum das Netz anpassen.

Die große Herausforderung ist, Netzarchitekturen zu entwickeln, die die Eigenschaften verschiedener Sensoren optimal nutzen können und gleichzeitig trainierbar sind. Ein Kernstück unserer Forschung sind deshalb sogenannte digitale Zwillinge. Das sind virtuelle Abbilder eines Objekts, die schon in der Industrie eingesetzt werden. Man legt heute am Computer beispielsweise eine digitale Version einer Produktionsanlage an, die exakt der realen Anlage gleicht, um so deren Arbeit nachvollziehen und weiterentwickeln zu können. Solche Zwillinge wollen wir vom Netz und seinen einzelnen Komponenten erarbeiten, um sie mit maschinellem Lernen zu optimieren.

Wann wird 6G im Einsatz sein?

Die Entwicklung einer neuen Mobilfunkgenerationen dauert erfahrungsgemäß rund zehn Jahre. Damit wir Anfang der 30er Jahre tatsächlich einen großen Wurf haben, wollen wir in der Grundlagenforschung die Weichen von Anfang an gemeinsam mit den anderen Akteurinnen und Akteuren stellen. Wir wollen von Wirtschaft und Gesellschaft wissen, welche Anforderungen sie haben. Diese Vernetzung geschieht nun auf der Plattform Thinknet 6G. Im Zyklus der Mobilfunkgenerationen starten wir diesmal übrigens früher mit der Entwicklung der nächsten Generation als üblich.

Seiten: 1 2 3Auf einer Seite lesen

TU Technische Universität München

Das könnte Sie auch Interessieren

Bild: Fraunhofer IEM
Bild: Fraunhofer IEM
Effiziente Produktionsplanung: KI reduziert Aufwand bei Schulte Kartonagen um 25%

Effiziente Produktionsplanung: KI reduziert Aufwand bei Schulte Kartonagen um 25%

Welcher Liefertermin steht wann an? Wie aufwändig muss die Maschine umgerüstet werden? Ist das benötigte Material bereits geliefert? Um die Reihenfolge verschiedener Kundenaufträge optimal zu planen, müssen Produktionsplaner:innen eine Vielzahl von Faktoren kennen und einschätzen. Bei Schulte Kartonagen hat ab sofort ein intelligenter KI-Assistent alle Faktoren im Blick – und macht Vorschläge für die effiziente Planung der Produktion. Gefördert wurde die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IEM und den Universitäten Paderborn und Bielefeld im it’s OWL-Projekt ARISE.

Bild: schoesslers GmbH
Bild: schoesslers GmbH
appliedAI Institute for Europe launcht kostenlosen KI-Onlinekurs

appliedAI Institute for Europe launcht kostenlosen KI-Onlinekurs

Das gemeinnützige appliedAI Institute for Europe stellt den kostenfreien Online-Kurs ‚AI Essentials‘ zur Verfügung, der es Interessierten ermöglicht, in die Welt der Künstlichen Intelligenz einzusteigen. Konzepte wie maschinelles Lernen und Deep-Learning sowie deren Anwendungsmöglichkeiten und Auswirkungen auf unser Leben und unsere Wirtschaft sind Teile der umfassenden Einführung.

Bild: Trumpf SE + Co. KG
Bild: Trumpf SE + Co. KG
Künstliche Intelligenz macht Fabriken clever

Künstliche Intelligenz macht Fabriken clever

Seit dem Siegeszug des Chatbots ChatGPT ist künstliche Intelligenz in aller Munde. Auch in der industriellen Produktionstechnik kommt KI mit großen Schritten voran. Lernende Maschinen machen die Fertigung effizienter. Wie funktioniert das genau? Das können Interessierte auf der EMO Hannover 2023 vom 18. bis 23. September erfahren. Die Weltleitmesse für Produktionstechnologie wird ihr Fachpublikum unter dem Claim ‚Innovate Manufacturing‘. mit frischen Ideen inspirieren und künstliche Intelligenz spielt dabei ihre Stärken aus.

Bild: Mitsubishi Electric Corporation, Japan
Bild: Mitsubishi Electric Corporation, Japan
KI-gestütztes Analysetool für moderne Produktionslinien

KI-gestütztes Analysetool für moderne Produktionslinien

Das Data-Science-Tool Melsoft MaiLab von Mitsubishi soll Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Fertigung und unterstützen und so deren Produktivität steigern. Die neue Lösung ist eine intuitive, bedienerzentrierte Plattform, die KI nutzt, um Abläufe automatisch zu verbessern. Sei es Abfallvermeidung durch geringere Ausschussmengen, weniger Stillstandszeiten durch vorbeugende Wartung oder Senkung des Energieverbrauchs durch Prozessoptimierung.

Bild: Fraunhofer IGD
Bild: Fraunhofer IGD
Software Arrange beschleunigt Absortierprozesse

Software Arrange beschleunigt Absortierprozesse

In Kombination mit einer Augmented-Reality-Brille bietet eine neue Software des Fraunhofer IGD digitale Unterstützung von Absortiervorgängen. Zusammengehörige Bauteile werden direkt im Sichtfeld der Beschäftigten an der Produktionslinie farblich überlagert. Anwender im Automotive-Bereich können so etwa durch beschleunigte Prozesse und eine minimierte Fehleranfälligkeit Kosten reduzieren.