Interview mit Michael Finkler, Business Development bei Proalpha

Künstliche Intelligenz hält in viele Unternehmensbereiche Einzug - auch in das Enterprise Resource Planning. Wo dort die Potenziale liegen und wie weit der Weg zum autonomen ERP-System ist, erklärt Michael Finkler von Proalpha im Interview mit der IT&Production.

 


 (Bild: proALPHA Business Solutions GmbH)

Bild: proAlpha Business Solutions GmbH

Michael Finkler: Was ERP-Systeme betrifft, glauben wir, dass es drei Phasen geben wird. Momentan befinden wir uns in einem Übergang – vom klassischen ERP hin zum intelligenten ERP. Die dritte Phase stellt dann ein mehr oder weniger hoch automatisiertes ERP dar. Aktuell beginnen fast alle Anbieter mit künstlicher Intelligenz Erfahrungen zu sammeln. Es gibt jedoch kaum fertige Lösungen, außer die, die bisher schon im Einsatz waren – beispielsweise im Bereich der automatischen Eingangsrechnungsverarbeitung. Was mehr und mehr Einzug halten wird, sind sprachgesteuerte Systeme, die die Anwendung von Bots ermöglichen. Wir sprechen da von Hands-Free-ERP-Systemen. Bei diesen kommt auch eine andere User Experience hinzu. Ein Bereich, in dem wir bereits heute gute Ergebnisse erzielen, ist die KI-gestützte Datenanalyse. Dabei werden Auffälligkeiten, Muster oder Anomalien aus unterschiedlichen Daten erkannt. Wo wir aber wirklich noch am Anfang stehen, ist der Bereich der vollautomatisierten N:N-Prozesse, wie beispielsweise die automatische Variatenkonfiguration, die erkennen kann, welcher Kundenbedarf vorhanden ist, daraus automatisch Konfigurationen erzeugt und diesen Prozess dann auch weiter fortführt. Dazu gehört auch die Robot Process Automation (RPA). In diesem Bereich beschäftigt sich beispielswesie das Forschungsprojekt KI.RPA gerade damit, KI, RPA sowie Process Mining zu kombinieren.

Was verbirgt sich hinter Process Mining und RPA?

Finkler: Process Mining bildet die Basis der bereits genannten vollautomatisierten Prozesse und ist somit stark mit dem Enterprise Resource Planning verknüpft. Dabei werden aus den Log-Daten eines Systems dessen Ist-Abläufe dargestellt. Es wird also abgebildet, wie ein Prozess läuft und was für Schwierigkeiten in dessen Ablauf auftreten können. Mittels Machine bzw. Deep Learning ermittelt das System dann Lösungen, die irgendwann auch automatisiert angestoßen werden können. Das Ziel von RPA besteht im Wesentlichen darin, Daten und die Arbeitsschritte direkt an der menschlichen Schnittstelle, also an der Eingabemaske zu erfassen, zu analysieren, zu trainieren und auszuführen. Am Ende steht dann ein selbstlernender Softwareroboter. Man spricht dabei auch von einem virtuellen Mitarbeiterpool.

In welchem Bereich kommt KI noch zum Einsatz?

Finkler: Die Analytik ist ein dritter großer Bereich und daraus abgeleitet auch der sogenannte Decision Report. Dabei werden Entscheidungsbäume generiert, um dann automatisiert Entscheidungen zu unterstützen. Beispielsweise können so Servicetechniker unterstützt werden. Die Entscheidungsbäume werden zunächst manuell aufgebaut und lernen dann aus den Aktivitäten der Techniker. Ein fünfter großer Bereich sind die kognitiven Assistenten – also Systeme, die beispielsweise sprachbasiert bedient werden können.

Die Grundlage für den KI-Einsatz sind Daten. Warum kann das für Unternehmen zu einem Problem werden?

Finkler: Zum einen spielt dabei die Größe des Unternehmens eine Rolle, zum anderen aber auch dessen Typologie. Handelt es sich um einen Maschinen- und Anlagenbauer hat dieser eine ganz andere Datenbasis als ein Großserienfertiger – selbst, wenn es sich nur um ein kleines Unternehmen handelt. Großserienfertiger haben in der Regel eine große Anzahl von Aufträgen, ein Sonderanlagenbauer aber möglicherweise nur fünf Großprojekte im Jahr. Dort ist somit keine ausreichende Datenbasis vorhanden.

Wie kann man dennoch zu einer geeigneten Datenbasis kommen?

Finkler: Man kann versuchen, synthetische Daten zu schaffen – sie also quasi simulieren. Dieses Verfahren kommt beispielsweise beim autonomen Fahren zum Einsatz, etwa um gefährliche Situationen zu simulieren. Innerhalb der KI-Forschung werden in diesem Bereich große Anstrengungen unternommen und es gibt auch schon Fortschritte. Derzeit beobachten wir jedoch, dass viele Unternehmen keine ausreichende Datenbasis haben.

Inwieweit befeuert die KI-Thematik die Themen Cloud bzw. Software-as-a-Service?

Finkler: Sehr stark. Jedoch ist das Enterprise Resource Planning bei vielen Anwendern von hoher Individualität geprägt, weshalb der ERP-Bereich beim Thema Cloud noch recht zurückhaltend ist. Was den KI-Einsatz betrifft, wird das Konzept in Zukunft so aussehen, dass das ERP-System nicht zwingend in der Cloud betrieben werden muss – die KI-Tools für die Datenaufbereitung jedoch schon. Denn insbesondere für die ‚Trainingsphase‘ der Systeme ist eine große Rechenleistung erforderlich. Momentan funktioniert das so: Um beispielsweise den optimalen Lagerbestand ermitteln zu können, werden die relevanten Daten hochgeladen, in der Cloud analysiert und Verbesserungsvorschläge gehen zurück an das Unternehmen. Sind die Algorithmen und die entsprechenden Modelle trainiert, können sie auch ein direkter Teil des ERP-Systems sein, ohne dass noch manuell eingegriffen werden muss.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Finkler: Wir planen gemeinsam mit einem Automobilzulieferer die Fehlererkennung in der Qualitätssicherung zu automatisieren. Dort sind heute 140 Mitarbeiter mit der Sichtkontrolle beschäftigt. Ein System wird darauf trainiert, nach welchen Kriterien ein Mitarbeiter entscheidet, ob ein Teil gut oder schlecht ist. Bisher sorgte diese Vorgehensweise für 30 bis 40 Prozent Ausschuss, da die Mitarbeiter im Zweifel immer dazu tendieren, ein Teil als Fehlteil zu kennzeichnen. Die neue Lösung setzt auf Bilderkennung. Um dem System die Fehlererkennung anzutrainieren, nutzt man die Cloud. Später soll das neue Verfahren dann direkt an das QS-System angegliedert werden. Ähnlich verhält es sich mit Bots: Die bereits trainierten Bots liegen meist direkt am ERP-System und nicht mehr in der Cloud. Unter dem Strich kann man sagen, dass dadurch die Unternehmen motiviert werden, sich dem Thema Cloud zu nähern.

Ist diese Motivation bei den Unternehmen vorhanden? Wie sind Ihre Erfahrungen?

Finkler: Ja, das kann man so sagen. Die Angst, Daten in die Cloud zu geben, besteht in dieser Form nicht mehr. Ich denke, es hat sich herumgesprochen, dass Rechenzentren heute höhere Sicherheitsstandards bieten als der eigene Rechner oder Mitarbeiter. Ein anderes Thema sind die Kosten, die für ERP aus der Cloud entstehen. Ein Problem bleibt die hohe Individualisierung, die ERP-Systeme mit sich bringen. Diese ist nicht mit der Skalierbarkeit der Cloud vereinbar. Je höher die Individualisierung, desto höher ist der Aufwand für uns als ERP-Anbieter.

Sie haben die Kosten angesprochen, denken Sie da beispielsweise an Subscription-Modelle?

Finkler: Ja, es entwickeln sich aber auch ganz neue Geschäftsmodelle, beispielsweise der Verkauf von Algorithmen und Modellen: Wenn wir eine KI-Lösung haben, die man Out-of-the-Box verwenden kann, können wir diese als kaufbare oder mietbare Lösung anbieten.

Inwieweit wirkt sich der KI-Einsatz im Allgemeinen – aber auch im ERP-Umfeld – auf die Mitarbeiter aus?

Finkler: Das ist ein großes Thema. Was sicherlich gebraucht wird, sind Mitarbeiter, die mit Daten umgehen können – beispielsweise Data Scientists. Zudem werden Mitarbeiter benötigt, die die KI anlernen und kontrollieren. Es entsteht somit ein ganz neuer Bedarf an Qualifikationen. Mitarbeiter, die diese Qualifikationen mitbringen, sind jedoch rar gesät. Einige Anbieter haben daher Selbstlernprogramme aufgesetzt, um Mitarbeiter zu schulen und so quasi zum Data Scientist zu machen.

Wann wird das hochautomatisierte ERP Einzug in die Unternehmen halten?

Finkler: Wenn man realistisch ist, können die Systeme bereits heute schon viel mehr, als die Anwender nutzen. Beispielsweise haben wir ein APS-System in unser ERP integriert, mit dem die optimalen Produktionspläne errechnet werden können. Der Schritt, dies dem System zu überlassen und vielleicht nur noch korrigierend einzugreifen, ist groß und so haben heute vielleicht 30 bis 40 Prozent unserer Kunden das System im Einsatz – und das System gibt es schon fast zehn Jahre. Es fällt den Unternehmen schwer, los zu lassen. Auch die Datenbasis sowie der Ausbildungsstand der Mitarbeiter ist häufig ein Problem. Wir könnten also schon viel weiter sein. Ich glaube, dass es noch mindestens zehn Jahre dauert, bis 50 Prozent aller Prozesse automatisiert ablaufen. Der ERP-Bereich ist immer etwas träger als viele andere Systeme, da die gesamte Unternehmensorganisation daran hängt. Diese zu ändern ist schwierig, das hängt noch nicht mal an den Systemen selbst. (mst)

Vielen Dank für das Gespräch!

proALPHA Business Solutions GmbH
www.proalpha.com

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