Prof. Alena Buyx über den 'embedded ethics approach' in der KI-Entwicklung

„Ethik muss Teil des Entwicklungsprozesses sein“

Der zunehmende Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) in der Entwicklung neuer Medizin-Technologien verlangt auch die verstärkte Berücksichtigung ethischer Aspekte. Ein interdisziplinäres Team der Technischen Universität München (TUM) spricht sich dafür aus, Ethik von Beginn an in den Entwicklungsprozess neuer Technologien zu integrieren. Alena Buyx, Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien, erklärt den sogenannten 'embedded ethics approach'.
Bild: Juli Eberle / TUM

Die Diskussionen um mehr Ethik in der KI-Forschung hat in den letzten Jahren sehr zugenommen, man könnte fast von einem ‚Ethik-Hype‘ sprechen …

… und viele Gremien in Deutschland und weltweit, wie der Deutsche Ethikrat oder die High-Level Expert Group on Artificial Intelligence der EU-Kommission haben darauf reagiert. Alle sind sich einig: Wir brauchen mehr Ethik in der Entwicklung von KI-basierten Gesundheitstechnologien. Doch wie sieht das für Ingenieure oder Designer in der Praxis aus? Dafür gibt es bis jetzt kaum konkrete Lösungen. In einem gemeinsamen Pilotprojekt mit zwei Integrativen Forschungszentren der TUM, der Munich School of Robotics and Machine Intelligence (MSRM) mit Direktor Professor Sami Haddadin und dem Munich Center for Technology in Society (MCTS) mit Professorin Ruth Müller, wollen wir den Ansatz der ‚embedded ethics‘ ausprobieren. Den Vorschlag haben wir Ende Juli in Nature Machine Intelligence veröffentlicht.

Was genau kann man sich unter dem ‚embedded ethics approach‘ vorstellen?

Ethik soll als fester Bestandteil in den Forschungsprozess integriert werden, indem Ethiker ab Tag eins Teil des KI-Entwicklungsteams sind. Sie sind z.B. regelmäßig bei Team-Meetings mit dabei und können sowohl eine Art ‚ethical awareness‘ für bestimmte Themen schaffen, als auch gezielt ethische und soziale Fragen aufwerfen und analysieren.

Gibt es bereits ein Anwendungsbeispiel?

Im Forschungszentrum Geriatronik, einem Leuchtturm-Projekt der MSRM in Garmisch-Partenkirchen, werden Roboter-Assistenten entwickelt, die Menschen ein selbstständiges Leben im Alter ermöglichen. Unter anderem ist dafür der Bau von Modell-Wohnungen geplant, in denen das Zusammenleben von Senioren und Robotern erprobt wird. Bei einem gemeinsamen Treffen mit den beteiligten Ingenieuren hatten wir festgestellt, dass die Idee, die Wohnungen komplett nach ‚open plan‘, also kaum Türen oder einzelne Räume zu bauen, den Robotern zwar viel Bewegungsfreiheit lässt. Bei den Senioren könnte das aber zu Irritation führen, da sie Rückzugsorte gewohnt sind. Diesen Aspekt hatten die Ingenieure zunächst nicht explizit bedacht.

Der Ansatz klingt vielversprechend – wie lässt sich vermeiden, dass ‚embedded ethics‘ als Alibi verwendet wird, um bei der Entwicklung neuer KI-Technologien vermeintlich auf der ethisch ’sicheren‘ Seite zu sein?

Das kann man nicht sicher vermeiden. Gegenseitige Offenheit und echtes Zuhören mit dem Ziel, eine gemeinsame Sprache zu finden, ist das, worauf es ankommt. Und die Bereitschaft, ethische Aspekte dann auch wirklich umzusetzen. An der TUM haben wir beste Voraussetzungen dafür. Professor Sami Haddadin, Direktor der MSRM, ist selbst Mitglied der EU High-Level Group of Artificial Intelligence. Seine Forschungsarbeit folgt dem Gedanken des ‚human centered engineering‘, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Die Idee ‚embedded ethics‘ wurde von ihm deshalb von Anfang an mitgetragen. Klar ist aber auch: embedded ethics allein kann KI nicht plötzlich ‚ethisch machen‘ – dafür muss es am Ende auch Gesetze und Kodizes sowie gegebenenfalls staatlichen Anreiz geben.

TU Technische Universität München
www.tum.de

Das könnte Sie auch Interessieren

Bild: Fraunhofer IEM
Bild: Fraunhofer IEM
Effiziente Produktionsplanung: KI reduziert Aufwand bei Schulte Kartonagen um 25%

Effiziente Produktionsplanung: KI reduziert Aufwand bei Schulte Kartonagen um 25%

Welcher Liefertermin steht wann an? Wie aufwändig muss die Maschine umgerüstet werden? Ist das benötigte Material bereits geliefert? Um die Reihenfolge verschiedener Kundenaufträge optimal zu planen, müssen Produktionsplaner:innen eine Vielzahl von Faktoren kennen und einschätzen. Bei Schulte Kartonagen hat ab sofort ein intelligenter KI-Assistent alle Faktoren im Blick – und macht Vorschläge für die effiziente Planung der Produktion. Gefördert wurde die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IEM und den Universitäten Paderborn und Bielefeld im it’s OWL-Projekt ARISE.

Bild: schoesslers GmbH
Bild: schoesslers GmbH
appliedAI Institute for Europe launcht kostenlosen KI-Onlinekurs

appliedAI Institute for Europe launcht kostenlosen KI-Onlinekurs

Das gemeinnützige appliedAI Institute for Europe stellt den kostenfreien Online-Kurs ‚AI Essentials‘ zur Verfügung, der es Interessierten ermöglicht, in die Welt der Künstlichen Intelligenz einzusteigen. Konzepte wie maschinelles Lernen und Deep-Learning sowie deren Anwendungsmöglichkeiten und Auswirkungen auf unser Leben und unsere Wirtschaft sind Teile der umfassenden Einführung.

Bild: Trumpf SE + Co. KG
Bild: Trumpf SE + Co. KG
Künstliche Intelligenz macht Fabriken clever

Künstliche Intelligenz macht Fabriken clever

Seit dem Siegeszug des Chatbots ChatGPT ist künstliche Intelligenz in aller Munde. Auch in der industriellen Produktionstechnik kommt KI mit großen Schritten voran. Lernende Maschinen machen die Fertigung effizienter. Wie funktioniert das genau? Das können Interessierte auf der EMO Hannover 2023 vom 18. bis 23. September erfahren. Die Weltleitmesse für Produktionstechnologie wird ihr Fachpublikum unter dem Claim ‚Innovate Manufacturing‘. mit frischen Ideen inspirieren und künstliche Intelligenz spielt dabei ihre Stärken aus.

Bild: Mitsubishi Electric Corporation, Japan
Bild: Mitsubishi Electric Corporation, Japan
KI-gestütztes Analysetool für moderne Produktionslinien

KI-gestütztes Analysetool für moderne Produktionslinien

Das Data-Science-Tool Melsoft MaiLab von Mitsubishi soll Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Fertigung und unterstützen und so deren Produktivität steigern. Die neue Lösung ist eine intuitive, bedienerzentrierte Plattform, die KI nutzt, um Abläufe automatisch zu verbessern. Sei es Abfallvermeidung durch geringere Ausschussmengen, weniger Stillstandszeiten durch vorbeugende Wartung oder Senkung des Energieverbrauchs durch Prozessoptimierung.

Bild: Fraunhofer IGD
Bild: Fraunhofer IGD
Software Arrange beschleunigt Absortierprozesse

Software Arrange beschleunigt Absortierprozesse

In Kombination mit einer Augmented-Reality-Brille bietet eine neue Software des Fraunhofer IGD digitale Unterstützung von Absortiervorgängen. Zusammengehörige Bauteile werden direkt im Sichtfeld der Beschäftigten an der Produktionslinie farblich überlagert. Anwender im Automotive-Bereich können so etwa durch beschleunigte Prozesse und eine minimierte Fehleranfälligkeit Kosten reduzieren.