KI-gestützte Nachschubplanung
Für mehr Transparenz in der Lieferkette vernetzt sich BASF immer stärker mit seinen Partnern, Lieferanten und Kunden. Ziel ist es, die Lieferzuverlässigkeit zu verbessern und Kosten zu reduzieren. Zusammen mit IBM untersuchte die Division Nutrition & Health in einem Proof of Concept, was kognitive Systeme dazu beitragen können.
Viele Produktionsanlagen in der chemischen Industrie sind weitgehend – teils sogar vollständig – automatisiert. Auch viele Geschäftsprozesse wurden bereits digitalisiert. Ohne hochintegrierte und rechnergestützte Produktion wäre ein chemischer Produktionsstandort bereits heute nicht mehr denkbar. Dennoch fehlt vielen noch die engere Verzahnung der Produktion mit produktionsfernen Leistungen wie Supply Chain und Kundenmanagement. BASF zählt durchaus zu den digitalen Frontrunnern der Branche: Beim Chemie- und Pharma-Roundtable von VCI und KPMG Anfang Dezember 2018 beschrieb ein Referent, wie Machine-Learning-Technologie die Produktivität in der Forschung und Entwicklung deutlich steigern kann. Kognitive Systeme integrieren vorhandenes internes und externes Wissen und verschaffen eine schnelle und zuverlässige Übersicht. Und in der Produktion unterstützt KI die Instandhalter. Die beiden Steamcracker und die Kraftwerke im Stammwerk Ludwigshafen sind mit Sensoren bestückt, deren Daten kontinuierlich bewertet werden. Mit Hilfe von KI erstellen Rechner einen Gesundheitsindex für die Anlagen. Das ermöglicht gezielte Instandhaltungsmaßnahmen und verringert ungeplante Stillstandszeiten.
Integrierte digitale Supply Chain
Mit einer integrierten digitalen Supply Chain will BASF nun auch die Lieferkette transparenter und kostengünstiger gestalten, liegt doch der Anteil der Logistikkosten am Umsatz in der chemischen Industrie immerhin zwischen acht und zwölf Prozent. Seit 2015 loten bereichsübergreifende Teams in der BASF die Möglichkeiten der intelligenten Nutzung von Daten und digitaler Technologien aus, testen diese in Pilotprojekten und setzten einige davon auch bereits um. Um all diese Aktivitäten zu bündeln, hat BASF zum 1. Januar 2019 den Funktionsbereich ‚Digitalization & Information Services‘ gegründet. Dabei wurde die Frage aufgeworfen, ob kognitive Systeme helfen können, bessere Entscheidungen für eine reibungsfreie Supply Chain zu treffen. Um Antworten darauf zu finden, hat das Unternehmen mit IBM und dessen System Watson einen ‚Proof of Concept‘ realisiert.
Die Matrix vergleicht Auswirkungen und maximal erwartete Effizienzgewinne durch KI in der chemischen Industrie. Bild: Deloitte/VCI
Regionale Lagerhaltung verbessert
Realisiert wurde das Projekt bei der BASF Nutrition & Health. Der Geschäftsbereich mit seinem Produkt- und Dienstleistungsportfolio für die Human- und Tierernährung, Pharma-, Ethanol-, Aroma- und Duftstoffindustrie unterhält eng am Kundenbedarf orientierte, regionale Lager. An dieser Stelle zeichnete sich Optimierungspotenzial durch künstliche Intelligenz und Machine Learning ab. Dr. Bernd Lohe, Director Supply Chain Operational Excellence & Digitization bei BASF Nutrition & Health: „Die Machbarkeitsstudie ‚Nachschubplanung / Auftragsdisposition‘ hat demonstriert, dass künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen mit IBM Watson die globale Lieferkette deutlich transparenter machen können.“
Umsetzung in kleinen Schritten
Generell empfiehlt IBM Unternehmen, bei der Umsetzung von Watson-Projekten klein anzufangen. Gestartet wurde mit einem Workshop unter dem Thema Design Thinking, um die Aufgabe einzugrenzen und um Methoden für die Nutzung von KI zu entwickeln. Das Team verständigte sich auf die Themen Nachschubplanung und Auftragsdisposition. Untersucht werden sollte die Optimierung der Bevorratung in Distributionslagern im Hinblick auf die Kundennachfrage. An diesem wichtigen Teilthema der Logistik erhoffte man sich gute Chancen, die Möglichkeiten einer kognitiven Unterstützung schnell und nachvollziehbar sichtbar machen zu können. Im zweiten Schritt entwarfen Daten-Spezialisten ein Modell zur Bestimmung von Nachschublieferungen, das auf transaktionalen Daten basiert: Historische Auftragsdaten, zukünftige Bestellungen und Prognosen aus dem ERP-System, sowie andere Quellen wie Absatzmuster, Lagerbestände und Lieferzeiten. Mit Machine Learning-Werkzeugen entwickelte das Team eine kundenspezifische Lösung auf der Basis neuronaler Netze zur Vorhersage der zukünftigen Entwicklung von Bedarfen. Watsons Lernmodell nutzt im Wesentlichen das Knowhow erfahrener Mitarbeiter. Der für ein bestimmtes Distributionslager zuständige Planer interagierte während des Projekts über einen Chatbot – ein textbasiertes Dialogsystem in natürlicher Sprache – mit dem dahinterstehenden System und optimierte mit seinem Feedback die Generierung der Prognose. Dr. Lohe: „Wir kombinierten den Chatbot, zugleich eine Visualisierung der Daten – auch historische Daten werden genutzt – und den von IBM entwickelten neuronalen Algorithmus (Deep Learning).“
Jedes Projekt ist verschieden
Dr. Martin Gerhardt (Business Development Executive Industry Solutions & Digitization, IBM) sieht als Besonderheit des Projektes, dass es sich in der Chemie oder in der Pharmaindustrie nicht um diskrete Produkte wie sonst in der Industrie handelt, es geht vielmehr um Stoffe in sehr unterschiedlichen Mengen und Volumina. Nicht zuletzt sind die Produkte häufig besonders zu behandeln.
Hohes Kommunikationsaufkommen
Hinzu komme, dass Chemieunternehmen in einem hohen Grad mit anderen Unternehmen und ihren Kunden vernetzt sind. Die Lieferkette muss also mit einer großen Zahl von Partnern kommunizieren, um die Prozesse abzustimmen. Eine extrem hohe Bedeutung habe die Volatilität – Bedarfe ändern sich sehr häufig und in immer kürzerer Zeit. Hier müsse das Management in der Chemie oder Pharmaindustrie schnell reagieren und sich mit der Produktion rückkoppeln, schildert Gerhardt. In diesem Zusammenhang komme dem Thema Lager und Zwischenlagerung eine immer größere Bedeutung zu – sei das Lager aus Gründen der Liefersicherheit zu gut gefüllt, erhöhen sich für den Anbieter die Kosten; hat der Anbieter zu wenige Produkte gelagert, hat das Auswirkungen auf die Kundenzufriedenheit. „Die Balance dazwischen muss fein austariert sein“, so Gerhardt. Das BASF-Team zeigt sich nach dem erfolgreichen PoC mehr als zufrieden: Dr. Lohe: „Die IBM Cloud und die Watson KI-Services ermöglichten uns den Zugang zu einer Vielzahl von maschinellen Lernmodellen, die auf der langjährigen IBM-Praxis mit diesen Werkzeugen basieren. Das bedeutete, dass wir unmittelbar mit der Analyse unserer Daten und mit dem Training des ‚Nachschubberaters‘ starten konnten. Unsere Lösung beinhaltete auch eine Datenvisualisierung – das hat unseren Planern geholfen, die Systemempfehlungen besser zu verstehen und das Training effektiver gemacht. Ganz wichtig: Die integrierte Chatbot-Funktionalität machte es möglich, dass unsere Mitarbeiter in natürlicher Sprache mit dem Nachschubberater kommunizierten.“ IBM Watson erweitert also menschliche Erfahrung und Urteilsvermögen mit künstlicher Intelligenz, um innerhalb der Lieferkette vorausschauend zu agieren. Die KI-Lösung reduziert die Zahl kritischer Situationen in der Supply Chain, weil die Mitarbeiter sich anbahnende kritische Situationen früher erkennen. Damit reduziert sich die Zeit, bis ein solches Problem abgearbeitet ist. Und wie es mit KI-Systemen so ist: Die Entscheidungen werden über die Zeit immer besser.