Die Logistikbranche befindet sich im Umbruch: Durch die Corona-Pandemie wird die Digitalisierung weiter beschleunigt, sie durchdringt immer mehr Bereiche. Das führt dazu, dass sich in naher Zukunft hochverteilte Künstliche Intelligenzen selbstständig organisieren werden und eine neue Plattformökonomie entsteht – die Silicon Economy. Welche Auswirkungen haben diese Veränderungen auf die Logistik und ihre Geschäftsmodelle? Auf dem gemeinsam von Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und dem Digital Hub Logistics veranstalteten ‚Zukunftskongress Logistik – 38. Dortmunder Gespräche‘ diskutieren Referenten und Teilnehmer, wie Unternehmen auf die Veränderungen in der Branche reagieren können.
Wie sich Lieferketten selbstständig vernetzen
Prof. Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IML, erläuterte in seinem Eröffnungsvortrag, wie künstliche Intelligenz dafür sorgen wird, dass sich Lieferketten selbstständig auf allen Ebenen und in Echtzeit vernetzen – und autonome Devices selbstständig Verträge aushandeln und Bezahlvorgänge abschließen. Als Umgebung für diese neuen Technologien werde mit der Silicon Economy ebenjene digitale Plattformökonomie entstehen, an der das Fraunhofer IML bereits arbeitet.
25Mio. Euro Förderung
Nach dem Grußwort von Andreas Scheuer, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, überreichte der Minister digital einen Förderbescheid für das Großprojekt ‚Silicon Economy Logistics Ecosystem (Sele)‘ in Höhe von 25Mio. Euro. Anschließend erwartete die Teilnehmer ein Vortrag von Prof. Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) über die Chancen von Covid-19 als Beschleuniger der Digitalisierung. Wie Deutschland den Titel des ‚Logistikweltmeisters‘ verteidigen kann, erklärte danach Felix Fiege, Vorstandsvorsitzender von Fiege Logistik. Am Nachmittag des ersten Kongresstages berichteten die Referenten unter dem Oberthema ‚Blockchain‘ über den Einsatz der Technologie in der Supply Chain sowie in Projekten in Nordrhein-Westfalen. Anschließend stellten bereits zum vierten Mal acht Startups in einem Pitch-Wettbewerb ihre innovativen Geschäftsmodelle für den ‚Digital Logistics Award‘ vor.
Den ersten Platz und damit den Gewinn von 15 000 Euro sicherte sich das Team vom Startup Gapcharge aus Duisburg. Das Unternehmen hat ein drahtloses Ladesystem für elektromobile Logistik- und Leichtfahrzeuge wie etwa Logistikscooter entwickelt, das in Verbindung mit einer digitalen Zustandsüberwachung Logistikabläufe effizienter macht.
Neue Technologien in der ‚Digital Sandbox‘
Am zweiten und dritten Kongresstag zeigen Referenten im Fraunhofer-Symposium ‚Silicon Economy‘ in Sequenzen zu Themen wie Machine Learning, autonomes Fahren oder die digitale Transformation im Mittelstand, wie sie in ihren Unternehmen Innovationen in die Praxis umsetzen, um eine höhere Automatisierung und Digitalisierung ihrer Prozesse zu erreichen. An allen drei Tagen demonstrieren Wissenschaftler des Fraunhofer IML darüber hinaus in der ‚Digital Sandbox‘ zahlreiche neue Technologien und ihre Anwendungsfälle in der Logistik.
Mit dem ‚LoadRunner‘ hat das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML eine neue Generation Fahrerloser Transportfahrzeuge (FTF) mit enormer Sortierleistung entwickelt. Dank hochverteilter künstlicher Intelligenz und Kommunikation über 5G ist das High-Speed-Fahrzeug ein weltweiter Meilenstein in der Schwarmrobotik – und prädestinierter Schlüssel für die Transformation der Wirtschaft in eine Silicon Economy.
Die Entwicklung des LoadRunners, der beim Digital-Gipfel 2019 seine Weltpremiere feierte, hatte das Fraunhofer IML bereits im Rahmen eines vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) geförderten Vorprojekts zum am 15. September 2020 offiziell gestarteten Großprojekts ‚Silicon Economy Logistics Ecosystem‘ realisiert. Seither arbeiten die beteiligten Wissenschaftler an der Weiterentwicklung und unter anderem an der Skalierung des Systems.
Digitale Modellierung auf Echtzeit-Entwicklungsplattform
Nun liefert eine durchgeführte Untersuchung zum Einsatz des LoadRunners für die Paketsortierung die ersten vielversprechenden Ergebnisse: Mit etwa 60 Fahrzeugen lassen sich 13 000 Sendungen pro Stunde abarbeiten. Damit erreichen 60 LoadRunner bereits Leistungsbereiche von klassischen Sortiersystemen. Im Gegensatz zu diesen benötigt der LoadRunner jedoch wesentlich weniger fest installierte Infrastruktur und bietet eine deutlich schnellere Inbetriebnahme und höhere Skalierbarkeit. Um die Leistung von 60 LoadRunnern herauszufinden, nutzten die Forscher eine digitale Modellierung auf einer Echtzeit-Entwicklungsplattform für 3D-Simulationen, die eine dynamische Darstellung des Systemverhaltens in Echtzeit ermöglicht.
„Mit dem LoadRunner haben wir einen zentralen Mosaikstein für die Logistik von morgen entwickelt und setzen einen internationalen Benchmark in puncto autonomer Transportsysteme und Künstlicher Intelligenz. Die Fahrzeuge verfügen über die Beschleunigung eines Sportwagens und dringen in eine ganz neue Leistungsklasse vor. LoadRunner-Schwärme adressieren Bereiche, die bislang der Hochleistungssortier- und -fördertechnik vorbehalten waren. Die WiFi-6- und 5G-basierte Kommunikation, das selbstständige Verhandeln und Buchen von Aufträgen über die Blockchain und die künstliche Intelligenz an Bord machen den LoadRunner zum Begründer einer neuen KI-basierten Fahrzeuggeneration und zur Blaupause der Logistikbranche auf dem Weg in eine vertikale und in Echtzeit vernetzte digitale Plattformökonomie“, betont Prof. Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IML.
Intelligenter Schwarm
Der LoadRunner kann sich hochdynamisch mit bis zu 10m/s im Schwarm organisieren und sich bei Bedarf sogar für Transportaufträge zusammenkoppeln. Dank künstlicher Intelligenz ist er in der Lage, selbstständig Aufträge anzunehmen und zu verhandeln. Damit ist das Fahrzeug eine Revolution für die Logistik.
Mit seiner Dynamik und seinem omnidirektionalen Fahrwerk ist der LoadRunner perfekt an Sortierprozesse in Paketnetzwerken angepasst. Die Lastabgabe erfolgt ohne zusätzliche Aktorik ausschließlich mittels Trägheit, die beim Abbremsen entsteht. Als einzelnes Fahrzeug kann der LoadRunner Pakete bis zu einer bestimmten Größe und bis zu einem Gewicht von 30kg allein transportieren und sortieren. Somit lässt er sich z.B. auch für den Transport und die Sortierung von Gepäckstücken an Flughäfen einsetzen. Im Verbund können mehrere Fahrzeuge durch Kopplung auch große und sperrige Teile bewegen. Dabei kann jeder LoadRunner zusätzlich bis zu vier passive Anhänger ankoppeln und transportieren.
Um das Potenzial der LoadRunner-Technologie voll auszuschöpfen, ist eine offene digitale Infrastruktur wie die Silicon Economy nötig, in der die Fahrzeuge über 5G sicher kommunizieren und mittels Blockchain eigenständig Pay-per-Use-Verträge abschließen können.