China und die USA im Wettlauf um die mächtigsten KI-Anwendungen

Europa zwischen den Weltmächten

China und die USA im Wettlauf um die mächtigsten KI-Anwendungen

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In die Entwicklung von KI-Anwendungen fließen weltweit Multi-Milliarden-Dollar-Beträge. Ganz vorne dabei: Die großen Plattform-Betreiber aus den USA und China. In weiten Bereichen außen vor sind die Europäer. Im folgenden Beitrag geht es um Technologien, Trends und Player, welche die globale Wirtschaft in den kommenden Jahren nachhaltig prägen werden.


Der Gründungsherausgeber des US-Magazins Wired, Kevin Kelly, formulierte bereits 2016: „Genauso wie die Elektrifizierung vor 150 Jahren sämtliche Techniken auf ein neues Level katapultiert hat, wird dies Deep Learning tun“. Das zeigt sich nicht zuletzt in enorm hohen Forschungs- und Entwicklungsausgaben der großen amerikanischen Player Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft (GAFAM) sowie der dominierenden chinesischen Konzerne Baidu, Alibaba und Tencent (BAT) auf diesem Gebiet. Die selben Unternehmen sind auch als große KI-Risikokapitalinvestoren und Aufkäufer von Startup-Firmen im KI-Sektor unterwegs.

Der deutsche Sputnik-Schock

Deutschland hingegen erlebt beim Thema künstliche Intelligenz gerade so etwas wie einen kleinen ‚Sputnik-Schock‘. So veröffentlichte der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) zur Hannover Messe 2019 eine Umfrage, aus der hervorgeht, dass zwei Drittel seiner Mitglieder der Auffassung sind, dass in Deutschland die Kompetenzen fehlen, Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) effizient einzusetzen. Als führende KI-Nationen sehen die Ingenieure die USA (67 Prozent) und China (61 Prozent) an und mit dieser Einschätzung stehen sie nicht allein da: Kai-fu Lee, ein renommierter KI-Spezialist, Risikokapital-Investor und langjähriger Spitzenmanager von Apple, Microsoft und Google sieht Europa nicht einmal als einen Anwärter auf eine Bronzemedaille im KI-Rennen zwischen den USA und China an, wie er dem Portal ‚Sifted‘, einem Ableger der Financial Times, anvertraute. Europa habe keine erfolgreichen Internetfirmen für private Konsumenten, keine Social Media-Firmen und keine großen Unternehmen für mobile Anwendungen und so gebe es auch keine Erfahrungen mit großen Datenmengen und keine großen KI-Firmen.

KI im Spiegel von Patenten

Nach einer aktuellen Auswertung der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) wurden im Bereich KI von den 1950er Jahren bis Ende 2016 annähernd 340.000 Patentanmeldungen und über 1,6 Millionen wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht. Die Hälfte dieser Patentanmeldungen wurde allein in den drei Jahren von 2013 bis 2016 eingereicht. Die vorherrschende KI-Technik ist dabei maschinelles Lernen mit einem Schwerpunkt auf neuronalen Netzen. In der Gegenwart hat China die USA, was die reine Zahl der KI-Patentanmeldungen betrifft, bereits überholt. Die Anmeldezahl sagt allerdings noch nichts über den wissenschaftlichen Wert und die Erfindungshöhe von Patenten, die von der Fachwelt im Falle chinesischer Patente zum Teil angezweifelt wird. Das Schweizer Wirtschaftsforschungsinstitut Econsight hat deshalb eine Methode entwickelt, den Wert von Patenten qualitativ zu gewichten. Diese berücksichtigt die Zahl der Staaten bzw. Patentämter, in denen eine Erfindung angemeldet wurde und die Häufigkeit von Zitierungen durch Patentprüfer. Auf dieser Basis wurden mit Hilfe eines Index die ‚Weltklassepatente‘ in der KI identifiziert. Die Top 10 der Unternehmen führen Microsoft und die Google-Holding Alphabet an. Es folgen Intel, Qualcomm und Apple. Platz 6 bis 9 belegen Samsung und Sony sowie die chinesischen Schwergewichte Tencent und Alibaba. Platz 10 und 11 belegen Amazon und IBM. Als einziges deutsches Unternehmen in den TOP 50 findet sich Siemens auf Rang 16. Zudem wird Siemens immerhin in den Anwendungsfeldern Gesundheit, Energie und Industrie 4.0 jeweils in den Top 10 gelistet.

Chinas großer Plan

Der Staatsrat der Volksrepublik China hat bereits im Jahr 2017 einen Plan zur KI-Entwicklung im Lande verabschiedet. Er formuliert die Ziele, eine KI-Industrie im Wert von 150Mrd.US-Dollar aufzubauen und bis zum Jahr 2030 zur weltweit führenden Nation auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz zu werden. KI-Experte Kai-fu Lee sagte im oben erwähnten Interview mit dem Portal ‚Sifted‘, China sei stark wegen der riesigen Marktgröße eines homogenen Landes, in dem alle dieselbe Sprache und Kultur teilten. Die Tatsache, dass Daten so leicht aggregiert werden könnten, schaffe Geschäftsmodelle, die rentabel sind. Was in einer Stadt funktioniere, könne in hundert großen Städten funktionieren. Die Marktgröße sei auch bei KI ein noch größerer Vorteil, weil so viele Daten benötigt werden. Darüber hinaus habe China ein unternehmerisches Ökosystem entwickelt, in dem sich Risikokapitalgeber und Unternehmer gegenseitig helfen würden, iterativ zu wachsen – viel schneller als in den USA. China habe zudem den Regierungsvorteil: Diese baue die Infrastruktur, stelle die Investitionen bereit und gebe die landesweite Richtung vor. Gegenwärtig führt China bereits in der KI-Finanzierung: 48 Prozent der weltweiten Förderung für KI-Start-ups stammt aus China, 38 Prozent aus den USA und nur 13 Prozent aus dem Rest der Welt. Technologisch gilt China als führend bei der Gesichtserkennung, auch weil chinesischen Visual Computing Firmen, wie etwa SenseTime, Zugang zur Datenbank der Regierung mit 700 Millionen Passfotos chinesischer Bürger gegeben wurde. Die drei großen chinesischen Technologieunternehmen Baidu, Alibaba und Tencent sowie der Spracherkennungsspezialist iFlytek wurden vom chinesischen Ministerium für Wissenschaft und Technologie als Partner zur Umsetzung der nationalen KI-Strategie ernannt. Sie sollen Innovationsplattformen in vier Bereichen entwickeln: Alibaba sammelt Daten für Intelligente Städte, Baidu für autonome Fahrzeuge, Tencent für medizinische Bildgebung und iFlytek für automatische Spracherkennung.

KI in den USA

Die USA sind bekanntermaßen gut aufgestellt in der Forschung und in der Umsetzung der Ergebnisse in Services und Produkte. Dazu kommt die stark ausgeprägte Risikokapital-Kultur. Nicht zuletzt haben etablierte Plattformen wie Google, Facebook und Amazon seit ihrem Markteintritt einen riesigen Schatz an Anwenderdaten angelegt. Die US-amerikanischen Digitalplattformen sind in Forschung und Entwicklung Weltmächte: Laut einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young ist Amazon mit einem Budget von 20 Mrd. Euro der mit Abstand größte F&E-Investor der Welt. Auf den Rängen zwei und drei folgen mit 14,8 Mrd. Euro die Google-Muttergesellschaft Alphabet vor Samsung (13,1 Mrd. Euro). Die Gebiete künstliche Intelligenz und autonomes Fahren sind Schwerpunkte der Forschung von Amazon. Google hat im vergangenen Jahr gleich seinen gesamten Forschungsbereich von ‚Research‘ in ‚AI‘ also Artificial Intelligence umgetauft, um die Bedeutung von KI im Unternehmen herauszustellen. Dazu passt auch, dass Google der größte Aufkäufer von KI-Startup-Unternehmen ist. Die amerikanischen Marktforscher von CBInsights haben recherchiert, dass allein die GAFAM und Intel in den vergangenen acht Jahren 48 KI-Startups komplett übernommen haben. Der Run auf KI-Talente ist so groß, dass die Startups noch vor dem möglichen Börsengang aufgekauft werden. Google und Apple waren mit dem Kauf von 14 bzw. 13 Unternehmen hierbei besonders investitionsfreudig. Facebook und Amazon folgten auf den Plätzen drei und vier.

Wo bleibt Europa?

Vom bereits zitierten Kai-fu Lee stammt die ironisch gemeinte Aussage: „Ich habe den Eindruck, dass für die Europäer der einzige Weg zum Erfolg darin besteht, Google, Facebook und Amazon rauszuschmeißen.“ Angesichts der Dominanz der USA und Chinas auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz hält auch der Mathematiker und Physiker Cédric Villani, Autor der französischen KI-Strategie, laut einer Meldung des IT-Portals heise.de nichts davon, den US-Internetriesen bei KI-Diensten Paroli bieten zu wollen, die auf dem Sammeln und Auswerten personenbezogener Daten beruhen. Hier sei der Zug weitgehend abgefahren. In Europa müsse es dagegen darum gehen, KI-Anwendungen auf Basis „professioneller und spezieller Daten“ etwa im Business-to-Business-Bereich zu entwickeln und dort führend zu werden. Der in Harvard forschende, weißrussische Publizist Evgeny Morozov, hat auf einer Konferenz zum digitalen Kapitalismus die Ansicht dargelegt, dass die werbefinanzierten digitalen Plattformen zu einem neuen Geschäftsmodell übergehen werden: Dessen Dynamik werde geprägt sein „durch die künstliche Intelligenz und die um sie herum entstehenden Dienstleistungen“. Diese Dienstleistungen würden zukünftig weder werbesubventioniert noch kostenlos sein. Als Beispiel führte er u.a. die Kooperation von Google mit dem britischen National Health Service ein, deren Ergebnisse Google am Ende vermarkten werde. Morozov zufolge sei die Gefahr groß, dass Europa die letzten KI-Forscher weggeschnappt würden, ebenso wie das letzte Startup, das sich mit KI beschäftige. Er befürchtet, dass Europa in Bezug auf KI scheitert und die wichtigste Schlüsselinfrastruktur am Ende preisgibt.

Die Daten-OPEC

Der israelische Philosoph und Bestsellerautor Yuval Noah Hariri hat in der einflussreichen US-amerikanischen Zeitschrift ‚Foreign Policy‘ eine interessante Idee zur Ökonomie der Daten formuliert, die hier nachgezeichnet werden soll: Wenn Daten das neue Öl sind, dann sollen die Lieferanten dieses Rohstoffs einen höheren Anteil am Gewinn verlangen, der damit erzielt wird. Er schlägt in Analogie zur OPEC eine ‚Organisation Daten exportierender Staaten‘ vor, um von den Amazons und Alibabas der Welt einen Anteil der mit den Daten der Bürger erzielten Gewinne abzuschöpfen – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der durch KI wegfallenden Arbeitsplätze. Hariri denkt dabei primär an die Entwicklungsländer und befürchtet, dass diese zu Daten-Kolonien der amerikanischen und chinesischen Marktführer werden. Die Tendenz dazu zeichnet sich aber auch in Europa ab.

Transfer in die Industrie

Obwohl es in Europa sehr gute Forschungseinrichtungen der KI gibt, scheint eine große Schwierigkeit im Übergang von Forschern und Ergebnissen in die Industrie zu liegen. Und so wird die neue KI-Strategie der deutschen Bundesregierung vor dem Hintergrund der Dominanz der USA und Chinas kein Selbstläufer werden. Die versprochenen 3 Mrd. Euro Forschungsfördergelder für KI über fünf Jahre hinweg erscheinen im globalen Maßstab recht bescheiden. Auch die Besetzung der avisierten 100 KI-Professorenstellen dürfte schwierig werden. KI-Startups und die Global Player machen jungen Talenten schließlich lukrative Angebote. Das innovative Berliner Startup Data Artisans wurde zu Jahresbeginn für rund 90 Mio. Euro von Alibaba übernommen. Amazon will sich gerade mit einem neuen Forschungszentrum neben dem Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Tübingen niederlassen. Immerhin hat auch die Robert Bosch GmbH jüngst bekanntgegeben, dass sie einen ‚AI Campus‘ in Tübingen plant. Dort sollen zukünftig bis zu 700 KI-Experten in der angewandten Forschung tätig sein. Der Plan ist Teil einer zu Jahresbeginn angekündigten größeren KI-Offensive, in deren Rahmen in den kommenden fünf Jahren 25.000 zusätzliche Software-Ingenieure eingestellt werden sollen. Letztendlich wird es deshalb auch von solchen Entscheidungen in den deutschen Schlüsselindustrien wie Maschinenbau, Automotive, Chemie und Pharma abhängen, welche speziellen KI-Kompetenzen und KI-Talente sich in Deutschland noch halten und entwickeln lassen.

Nissen & Velten Software GmbH
https://www.nissen-velten.de/

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